Ausgangspunkt
unserer internationalen Hüttentour ist das traditionsreiche Bergdorf
Brand in Österreich, zwischen Bodensee und Vorarlberg gelegen. In sieben
Tagen wollen wir das Rätikon im Uhrzeigersinn umrunden und als Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes die Schesaplana mit knapp 3.000 m erklimmen.
Mit Bus und Seilbahn geht es zunächst steil hinauf auf 1.979 m Höhe zum Lünersee
und zur Douglas-Hütte, deren ursprüngliche Version 1871 als erste Hütte
des Deutschen Alpenvereins gebaut wurde. Dort empfängt uns strahlender
Sonnenschein, ein erster Blick aufs Rätikon und – Alphörner. Rund um den
türkisfarbenen See verteilt begleiten uns ihre Klänge noch lange beim
Aufstieg zum Verajoch und Öfenpass.
Die Wege im Rätikon
sind überraschend abwechslungsreich: moosgepolsterte und damit
knieschonende Wege durch liebliche Almwiesen wechseln sich ab mit
griffigen Felswegen und kleinen Kletterpassagen. Wenn unser Tourenleiter
Stefan uns bedächtig in die Kunst der weglosen Wege einweist, geht es
auch mal querfeldein, den Spuren der Gämsen folgend, z.B. auf den
Naafkopf (2.570 m).
Und immer wieder haben wir ein überwältigendes 360°-Panoroma
von den kleinen und großen Gipfeln des Rätikons. Der anhaltende
Sonnenschein macht diese Höhentour zu einem besonderen Genuss. Da nimmt
man den erhöhten Trinkwasserbedarf und die maximale Transportzeit für
Schokolade von zwei Stunden gerne in Kauf.
Auch die Tierwelt
ist vielfältig: Morgens begleiten uns nun statt der Alphörner die
Pfiffe der Murmeltiere. Rehe äsen am Wegesrande. Wir finden heraus, dass
der Gamstobel „Gamstobel“ heißt, weil es hier wirklich jede Menge Gämse
gibt. Unserem „Kameramann“ Werner gelingen Prof.-Grzimek-würdige Fotos
aus nächster Nähe. Ein von uns aufgeschreckter Fuchs springt eilig den
steilen Hang hinauf, aber 30%-Steigung sind sogar für einen Fuchs zu
viel, so dass er wieder ein Stück hinunterpurzelte, bevor ihm die Flucht
gelang. An der schweizerischen Schesplana-Hütte wurden wir dann morgens
statt durch den bewährten „Kikeriki“-Handy-Weckruf etwas unsanfter von
Kuhglocken geweckt. In den frühen Morgenstunden hatten die Kühen den die
Hütte umgebenen Elektrozaun nieder getrampelt und rupften fröhlich das
Gras vor unserem Fenster. Glücklicherweise ist Edelweiß nicht grün, so
dass der Blumenkasten der Hüttenwirtin verschont blieb. Die Carschina-Hütte,
die ebenfalls in der Schweiz liegt, war einfach, aber sehr gemütlich:
Abends brachte die Hüttenwirtstochter die Suppe in einem großen Topf an
die Tische und verteilte sie mit dem Hinweis: „Tällerr bitte fürr den
nächschten Gang behalten.“ Es gab keine Spülmaschine.
Von
der Lage des Rätikon im Grenzgebiet zeugen die vielen verlassenen
Zollhäuser unterwegs. Unmittelbar erleben wir die Grenzgänge bei unserer
Drei-Länder-Tagestour: Morgens frühstücken wir in der Schweiz
(Schesaplana-Hütte), nachmittags trinken wir Kaffee in Liechtenstein
(Pfälzer Hütte) und abends dinieren wir in Österreich (Nenziger Himmel).
Auch sonst kreuzen wir häufiger die Grenze und sind nicht immer ganz
sicher, auf welcher Seite wir gerade stehen.
Der Aufstieg zur Mannheimer Hütte (2.679 m) über den Leibersteig
war eine besondere Herausforderung. Beim Einstieg stand ein Warnschild:
Alpiner Steig. Nur für Geübte! Wir sind zwar eingelaufen, aber wird
unsere Trittsicherheit ausreichen? Die Nervosität steigt. Aber Stefan
strahlt eine unerschütterliche Zuversicht aus, dass es alle meistern
werden. Der Steig ist steil, manchmal ausgesetzt, aber überall gut mit
Seilen und Holzplanken versichert. So schaffen wir es mit vereinten
Kräften alle gut und genießen – mit ein wenig stolz geschwellter Brust –
die Aussicht auf den Brandner Gletscher und die Schesaplana (2.965 m),
die wir am folgenden Tag in Angriff nehmen werden.
Endlich
kommen unsere Steigeisen zum Einsatz, die wir seit einer Woche im
Rucksack mitschleppen. Der Gletscher hat in den letzten Jahrzehnten viel
an Substanz verloren und ist nur noch ca. 30 m dick. Jedes Jahr
verliert er weitere 2 m. Der Klimawandel, über den derzeit so viel
gesprochen wird, ist plötzlich bestürzend nah. Doch noch können wir über
das Eis stapfen und mögen die Steigeisen gar nicht wieder ausziehen, so
viel Spaß macht es. Aber das letzte Stück des steilen, wenn auch
problemlosen Weges auf die Schesaplana legt man besser nur mit
Wanderschuhen zurück – und einer guten Windjacke. Der Wind bläst hier
oben kräftig. Dafür werden wir mit einem traumhaften Ausblick auf den
Rätikon belohnt. Unsere Tour liegt uns buchstäblich noch einmal vor
Augen. In der Ferne erahnt man sogar den Bodensee. Der Abstieg zum
Lünersee ist dann nur noch ein Kinderspiel. Unterwegs an der Totalphütte
schauen wir den gequälten Aufsteigern (Südseite!) mitfühlend zu und
lassen dabei ein Stück cremig-leichten Heidelbeertopfen, den der
nepalesische Hüttenwirtsassistent gebacken hat, auf der Zunge zergehen.
Mit
dabei waren: Stefan Winter (Tourenleiter), Hildegard Essing, Helga
Feldhaus, Judith Knoche, Ines Richter, Franz Josef Schönebeck, Werner
Schwager, Hedwig und
Heike Hagedorn
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