Grenzgänge im Rätikon


2007 – Bergsteigen

Grenzgänge im Rätikon

Ausgangspunkt unserer internationalen Hüttentour ist das traditionsreiche Bergdorf Brand in Österreich, zwischen Bodensee und Vorarlberg gelegen. In sieben Tagen wollen wir das Rätikon im Uhrzeigersinn umrunden und als Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes die Schesaplana mit knapp 3.000 m erklimmen.

Mit Bus und Seilbahn geht es zunächst steil hinauf auf 1.979 m Höhe zum Lünersee und zur Douglas-Hütte, deren ursprüngliche Version 1871 als erste Hütte des Deutschen Alpenvereins gebaut wurde. Dort empfängt uns strahlender Sonnenschein, ein erster Blick aufs Rätikon und – Alphörner. Rund um den türkisfarbenen See verteilt begleiten uns ihre Klänge noch lange beim Aufstieg zum Verajoch und Öfenpass.

Die Wege im Rätikon sind überraschend abwechslungsreich: moosgepolsterte und damit knieschonende Wege durch liebliche Almwiesen wechseln sich ab mit griffigen Felswegen und kleinen Kletterpassagen. Wenn unser Tourenleiter Stefan uns bedächtig in die Kunst der weglosen Wege einweist, geht es auch mal querfeldein, den Spuren der Gämsen folgend, z.B. auf den Naafkopf (2.570 m).

Und immer wieder haben wir ein überwältigendes 360°-Panoroma von den kleinen und großen Gipfeln des Rätikons. Der anhaltende Sonnenschein macht diese Höhentour zu einem besonderen Genuss. Da nimmt man den erhöhten Trinkwasserbedarf und die maximale Transportzeit für Schokolade von zwei Stunden gerne in Kauf.

Auch die Tierwelt ist vielfältig: Morgens begleiten uns nun statt der Alphörner die Pfiffe der Murmeltiere. Rehe äsen am Wegesrande. Wir finden heraus, dass der Gamstobel „Gamstobel“ heißt, weil es hier wirklich jede Menge Gämse gibt. Unserem „Kameramann“ Werner gelingen Prof.-Grzimek-würdige Fotos aus nächster Nähe. Ein von uns aufgeschreckter Fuchs springt eilig den steilen Hang hinauf, aber 30%-Steigung sind sogar für einen Fuchs zu viel, so dass er wieder ein Stück hinunterpurzelte, bevor ihm die Flucht gelang. An der schweizerischen Schesplana-Hütte wurden wir dann morgens statt durch den bewährten „Kikeriki“-Handy-Weckruf etwas unsanfter von Kuhglocken geweckt. In den frühen Morgenstunden hatten die Kühen den die Hütte umgebenen Elektrozaun nieder getrampelt und rupften fröhlich das Gras vor unserem Fenster. Glücklicherweise ist Edelweiß nicht grün, so dass der Blumenkasten der Hüttenwirtin verschont blieb. Die Carschina-Hütte, die ebenfalls in der Schweiz liegt, war einfach, aber sehr gemütlich: Abends brachte die Hüttenwirtstochter die Suppe in einem großen Topf an die Tische und verteilte sie mit dem Hinweis: „Tällerr bitte fürr den nächschten Gang behalten.“ Es gab keine Spülmaschine.

Von der Lage des Rätikon im Grenzgebiet zeugen die vielen verlassenen Zollhäuser unterwegs. Unmittelbar erleben wir die Grenzgänge bei unserer Drei-Länder-Tagestour: Morgens frühstücken wir in der Schweiz (Schesaplana-Hütte), nachmittags trinken wir Kaffee in Liechtenstein (Pfälzer Hütte) und abends dinieren wir in Österreich (Nenziger Himmel). Auch sonst kreuzen wir häufiger die Grenze und sind nicht immer ganz sicher, auf welcher Seite wir gerade stehen.

Der Aufstieg zur Mannheimer Hütte (2.679 m) über den Leibersteig war eine besondere Herausforderung. Beim Einstieg stand ein Warnschild: Alpiner Steig. Nur für Geübte! Wir sind zwar eingelaufen, aber wird unsere Trittsicherheit ausreichen? Die Nervosität steigt. Aber Stefan strahlt eine unerschütterliche Zuversicht aus, dass es alle meistern werden. Der Steig ist steil, manchmal ausgesetzt, aber überall gut mit Seilen und Holzplanken versichert. So schaffen wir es mit vereinten Kräften alle gut und genießen – mit ein wenig stolz geschwellter Brust – die Aussicht auf den Brandner Gletscher und die Schesaplana (2.965 m), die wir am folgenden Tag in Angriff nehmen werden.

Endlich kommen unsere Steigeisen zum Einsatz, die wir seit einer Woche im Rucksack mitschleppen. Der Gletscher hat in den letzten Jahrzehnten viel an Substanz verloren und ist nur noch ca. 30 m dick. Jedes Jahr verliert er weitere 2 m. Der Klimawandel, über den derzeit so viel gesprochen wird, ist plötzlich bestürzend nah. Doch noch können wir über das Eis stapfen und mögen die Steigeisen gar nicht wieder ausziehen, so viel Spaß macht es. Aber das letzte Stück des steilen, wenn auch problemlosen Weges auf die Schesaplana legt man besser nur mit Wanderschuhen zurück – und einer guten Windjacke. Der Wind bläst hier oben kräftig. Dafür werden wir mit einem traumhaften Ausblick auf den Rätikon belohnt. Unsere Tour liegt uns buchstäblich noch einmal vor Augen. In der Ferne erahnt man sogar den Bodensee. Der Abstieg zum Lünersee ist dann nur noch ein Kinderspiel. Unterwegs an der Totalphütte schauen wir den gequälten Aufsteigern (Südseite!) mitfühlend zu und lassen dabei ein Stück cremig-leichten Heidelbeertopfen, den der nepalesische Hüttenwirtsassistent gebacken hat, auf der Zunge zergehen.

Mit dabei waren: Stefan Winter (Tourenleiter), Hildegard Essing, Helga Feldhaus, Judith Knoche, Ines Richter, Franz Josef Schönebeck, Werner Schwager, Hedwig und Heike Hagedorn

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