Die Südschweiz beeindruckt an dieser Stelle mit einer hohen Vegetationsgrenze, vielen Sonnentagen und mit spektakulären Bergsichten und -touren. Sodann geht es durch das malerische Val Roseg zum gleichnamigen Hotel Restaurant Roseg Gletscher. Der Gastraum ist urig eingerichtet und verweist mit seinem Interieur sehr eindeutig auf die Jagdtradition in der Region und besonders in diesem Tal. Hier kann wahlweise übernachtet und das reichhaltige Frühstück genossen oder der Anstieg zur Chamanna Coaz direkt in Angriff genommen werden.
Die Hütte liegt in aussichtsreicher Lage in einer kargen Umgebung des Hochgebirges. Die Aussicht ist phänomenal gut. Am nächsten Tag geht es früh los, um in der Stille des Morgens den „Weg“ zum Piz dal Lej Alv auf 3.195 m in Angriff zu nehmen. Da noch Frühsommer ist, gibt es viele Schneefelder und teilweise eine geschlossene Schneedecke. Der Anstieg ist auf der Schweizer Skala mit T4+ gekennzeichnet. Es handelt sich also um alpines Wandern mit den entsprechenden Schwierigkeiten. Bald verschwindet die Steigspur und geht in einen teilweise spärlich markierten (blau-weiß) und weglosen Part über. Das macht aber auch den Reiz aus. Das Suchen des Weges gleicht einem spielerischen Vorhaben. Es geht kontinuierlich nach oben durch grobes Blockgelände und über ausgedehnte Schneefelder. Das Blockgelände ist mit Vorsicht zu genießen, da in den Randbereichen der Blöcke die Schneedecke nicht sonderlich tragfähig ist und Einbrechen droht, worauf mich die freundliche Hüttenwirtin ausdrücklich hinwies.
Ein ganz besonderes Erlebnis stellen die vielen pyramidenförmigen Eis- und Schneestrukturen dar. Der Weiterweg geht über scheinbar künstlich angelegte Schneefelder mit symmetrisch angeordneten Pyramiden. Dieses Phänomen entsteht aufgrund des Zusammenspiels zwischen Sonneneinstrahlung, Abschmelzung und Luftfeuchtigkeit. Gerne wird dieses Phänomen als „Büßereis“ oder „Zackenfirn“ beschrieben. Korrekt bezeichnet werden damit aber eher die meterhohen Eispyramiden im Himalaya oder den Anden. Ob man hier auch von „Büßereis“ sprechen kann, sei dahingestellt. Der Weiterweg ist aber auch leicht erschwert und die Umschreibung passt ganz gut.
Kurz vor dem Gipfel schwingt sich der Steilhang noch einmal auf und ist bedeckt mit einer vereisten Schneedecke. Ich entschied mich an dieser Stelle nicht weiterzugehen, weil das Risiko als Sologeher hier für mich nicht mehr vertretbar ist. Abgestiegen wird über den Aufstiegsweg. Ständiger Begleiter sind die hohen Berge der Bernina. Zu Recht wird diese Gegend als „Festsaal der Alpen“ bezeichnet.
Text: Michael Janocha