© DAV Münster

Der schmale Grat nach oben

Auf den Spuren der Steinböcke im Pitztal.

13.03.2024

Bevor wir im Pitztal über schroffe Grate neue Gipfel erklimmen konnten, durften wir beim Vortreffen in der Ahlener Kletterhalle erst einmal unsere Kletterkünste unter Beweis stellen. Eine vorausschauende Idee von unserem Hochtourenführer Peter, denn damit war klar, dass alle das Zeug für anspruchsvolle Touren haben.

Mit gesteigerter Vorfreude reisen wir in der ersten Augustwoche nach Tirol und steigen unter wolkenverhangenem Himmel zum Taschachhausauf. Die kompetent geführte Hütte auf 2.434 m ü. NHN wird uns als Basis für die kommenden Tage dienen. Ein paar von uns waren im letzten Jahr schon zum Grundlagenkurs Hochtouren hier und sind erstaunt, wie sehr sich das Landschaftsbild verändert hat. Ganze Berghänge, die dereinst schneebedeckt waren, zeigen sich nun in blankem Fels und Geröll, auch die Gletscher liegen aper* dar. 

Das Wetter bessert sich von Tag zu Tag und wir beginnen unseren Aufbaukurs Hochtouren mit einer Rekapitulation des Gletschergehens: Mit Steigeisen und Pickeln an einer steilen Flanke traversieren, in Seilschaft gehen, Spaltenbergung. Nirgends ließe sich das wohl besser trainieren als an bzw. in einer großen Gletscherspalte am Taschachferner. Spätestens bei der Rettung des „Gestürzten“ mittels Loser Rolle oder Selbst-Flaschenzug treibt es allen Beteiligten den Schweiß auf die Stirn und ein Lachen ins Gesicht. Während der wohlverdienten Jause auf dem Eisriesen erscheint ein kapitaler Steinbock auf dem Bergrücken hoch über uns. Und kurz darauf scheint es, als sei ein zweites Paar gebogener Hörner im Gegenlicht auszumachen.

Den Nachmittag nutzen wir im Umfeld der Hütte für ein kurzes Training im Standplatzbau und dem Sichern eines Nachsteigenden. Damit sind wir bestens vorbereitet für unsere erste große Tour am nächsten Tag. 

Wir umrunden den Urkundkopf und steigen durch wegloses Gelände steil zum Sattel auf. Von unten wirkt der Nord-Grat auf den Pitztaler Urkund spitz und blockig, sodass einem schon etwas mulmig wird. Doch beim Aufstieg merkt man schnell, dass es überall einen Tritt gibt, die großen Blöcke fest verkeilt sind und die mobilen Sicherungen leicht gelegt werden können. Die Vorbereitung zahlt sich aus. Um die Mittagszeit erreichen wir ohne Probleme den 3.201 m hohen Gipfel und genießen den Ausblick über die unter uns liegenden Gletscher und auf die uns umgebenden Berge. Da wir die Tour als Überschreitung geplant haben, folgen wir nun dem Süd-Ost-Grat und haben einige Mühe, die beiden Abseilstellen zu finden. Nach ein paar Erkundungsversuchen bringt uns das letzte Abseilen schnell auf den Urkundsattel, so dass wir über den Sexegertenferner weiter absteigen können. Zahlreiche Schmelzwasserrinnen durchschneiden den aperen* Gletscher, vereinen sich und versinken glucksend in Klüften und Spalten. Für die letzten Höhenmeter nutzen wir den Tobias-Jungk-Klettersteig, der uns über eine verschliffene Felsnase zum Talsaum bringt. Aus dem unter einer Geröllhalde verborgenen Eis brechen die vereinten Schmelzwasserströme tosend wieder hervor. Wir folgen dem Sexegertenbach zurück zur Hütte und lassen uns beim Abendessen die meisterhaften Spinatknödel in Gorgonzolasauce schmecken.  

Zur Mitte der Woche lassen wir es ruhig angehen und machen einen Ausflug zu einer „Gletscherhöhle“. Eine Zunge des westlichen Taschachferners ist, wie für sich zurückziehende Gletscher üblich, von der Unterseite her ausgeschmolzen. Warmes Schmelzwasser hat eine Rinne an der Basis freigespült, sodass zusätzlich warme Luft eindringen konnte und die Rinne sich zu einem weiten Tunnelgewölbe entwickelt hat. Beim Betreten haben wir sogleich das Gefühl, in einem Kühlschrank zu stehen, aber die tropfenden Wände zeigen an, dass es hier doch viel zu warm ist. 

Unsere nächste große Tour ist die Überschreitung der Bliggspitze (3.455 m), eine klassische Hochtour. Das heißt Anstieg durch alpines Gelände, vom taufeuchten Gras weiter über eine Geröllhalde und dann mit Steigeisen über den Hinteren Eiskastenferner auf den Ostgrat. Hier erwarten uns spannende Kletterpassagen bei trockenem und griffigem Fels. Schnell wird deutlich, wie man mal zügig in der losen Partnersicherung vorankommt und mal viel Zeit fürs Vorsteigen und Sichern der Seilschaften aufwenden muss. Das Aufteilen der Gruppe in mehrere Seilschaften ist dabei sehr hilfreich.

Vom Gipfel können wir die grandiose Aussicht von den Südalpen bis hin zur Zugspitze genießen. Der Abstieg über den Südgrat wird durch eine 50-Meter-Abseilstelle an einer Steilwand erleichtert. Erschöpft, aber sehr zufrieden mit der Tagesleistung fallen wir nach dem Abendessen in die Kojen unserer heimeligen Stube unter dem Hüttendach.

Zum Abschied gehen wir noch auf den Wurmtaler Kopf (3.228 m), den wir top akklimatisiert und aufgrund des leichten Zustiegs über den Offenbacher Höhenweg in wenigen Stunden erreichen. Das hereinziehende Tiefdruckgebiet drängt uns ebenso schnell zum Abstieg, sodass wir auf den letzten Metern noch ein paar Trailrunnern Konkurrenz machen. Die tiefhängenden Wolken versetzen die Berglandschaft jedoch in eine magische Stimmung.

Text: Norbert Siegel